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Die Schauspieler Walter Hess, Paul Herwig und Anette Paulmann über ihr langjähriges Engagement im Ensemble der Münchner Kammerspiele. Eine Interview-Reihe von Sarah Clemens.

Walter Hess braucht zu Fuß 5 Minuten zu den Kammerspielen. Er ist 2002 ins Ensemble gekommen, nach einem Engagement in Zürich. Zuvor war er unter anderem am Staatstheater Hannover und in Bonn engagiert. Am 1. August dieses Jahres war sein 50-jähriges Bühnenjubiläum.
Wie bist du an die Kammerspiele gekommen, wo kamst du da her?
Ich kam damals erst mal vom Staatstheater Hannover mit Christoph Martaler nach Zürich zurück: Mein Ausgangspunkt war immer Zürich. Im zweiten Jahr dort hatte ich allerdings das Bedürfnis, Zürich wieder zu verlassen – obwohl ich ja schon ein gewisses Alter hatte – und habe dann Kontakt zu Frank Baumbauer aufgenommen... Weil das ganze, teils veraltete Ensemble, weggezogen war – auf die „andere Straßenseite“ ins Residenztheater – gab es durchaus ein mir entgegengebrachtes Interesse. Somit habe ich mich kurzerhand entschlossen, nach München zu gehen, was für mich gut war, weil ich mich innerhalb des Ensembles auf Anhieb sehr wohl fühlte und das Gefühl hatte, dass ich auch wirklich erwünscht war.
Kannst Du dich an die erste Inszenierung erinnern, die du an den Kammerspielen gesehen hast?
Ganz früher, das war Alles im Garten von Edward Albee, glaube ich. Mit dem [Martin] Benrath... [Anm.: Hans Schweikarts Inszenierung von 1969]
Inzwischen müssen sich die Einrichtungen der Kammerspiele ja anfühlen, wie Dein zweites Zuhause, aber was war Deine erste Begegnung mit dem Haus?
Ich kam in der zweiten Spielzeit von Baumbauer – da befanden sich die Kammerspiele noch im Umbau. Meine erste Probe für die Orestie war draußen, in der Dachauer Straße. Andreas Kriegenburg, mit dem ich bereits zuvor einige Male gearbeitet hatte, führte da Regie. Erst nachträglich sind wir dann im Laufe der Spielzeit auf die neue Bühne umgezogen und waren auch die ersten, die im renovierten Haus geprobt haben. Die erste Probe dort haben wir mit Sekt begossen...
Ein wunderschönes Theater, wie ich finde. Hier ist alles sehr nah, die Probenräume, die Werkstätte, das Schauspielhaus, alles ist stadtzentral...
Es gab in all den Jahren auch immer einen Moment, in dem ich für einen winzigen Augenblick aus der Rolle ausgestiegen bin, und mir das angeguckt habe, den Zuschauerraum, die Atmosphäre gespürt habe. Das erste Mal, als ich auf der Bühne stand, fand ich das alles so klein – obwohl das Schauspielhaus Zürich nicht sehr viel größer ist. Die Nähe zum Publikum hier ist sehr schön.
Bemerkt man, wenn man so lange an einem Theater ist, einen Unterschied im Publikum?
Als ich ankam mussten die richtig um Akzeptanz kämpfen hier, das war nicht einfach. Es wurde auch von der Presse ziemlich geschossen, besonders in der ersten Spielzeit. Viele Abonenten haben gekündigt – dafür kamen aber auch sehr viele neue hinzu!– es war ein ganz anderes Theater als noch zu Dorns Zeiten, man hat aber einfach immer weitergemacht und das führte zu einer Art Umschwung. Diesen 'Klimawechsel' hat man sehr wohl gespürt. In der äußeren Akzeptanz, wie auch im Erfolg am Abend einer jeden Aufführung.
Gab es in den 10 Jahren einen persönlichen Höhepunkt? Das mag eine Begegnung, eine Rolle sein...
Ich würde das nicht zu sehr auf eine Rolle beziehen sondern auf eine Phase, in der das Theater sehr erfolgreich war. Das war eine sehr glückliche Zeit mit Der Sturm, Der Prozess, Die Drei Schwestern... Das war eine gute, längere Phase, in der man auch vom Zuschauer richtig mit Erfolg verwöhnt war. Zudem finde ich nach wie vor, dass Der Prozess eines der gelungensten Inszenierungen ist, an der ich mitgewirkt habe.
Gab es auch Phasen, die sich hingegen gar nicht so glücklich angefühlt haben?
Für mich nicht wirklich geglückt war Fünf Goldringe, ein Stück in dem ich die Hauptrolle hatte. Ein schwieriges Stück, in technischer und dramatischer Hinsicht. Das war eine für mich sehr mühsame Erfahrung. Vom Ergebnis sicher nicht das, was ich mir versrprochen hatte. Das ist jedoch immer wieder eine Konstellationssache: Glückliche Sachen sind auch eine Konstellationssache, wie z.B. im Prozess – da spielt sich niemand „hervor“, da wird zusammengespielt und aufeinander geachtet: Alle profilieren sich zwar auf ihre eigene Weise, aber eben miteinander.
Nimmt mit der Zeit das Gefühl der Unsicherheit und des Selbstzweifels ab?
Was Ehrgeiz betrifft, da wird man gelassen. Aber von Ruhe keine Spur! Ich finde immer, es gehört eine Grundlust, Theater zu spielen, dazu. Wenn ich jetzt Zyniker, resigniert und müde geworden wäre oder ein Haus abbezahlen wollte – weiß ich nicht, ob ich da künstlerisch noch viel auf die Beine stellen könnte. Mit Jungen Menschen immer wieder zusammenzukommen, das erhellt natürlich auch; und ich denke nicht, dass ich für die jungen Menschen dann der alte Knacker bin, der so eine negative Theatervorstellung vermittelt oder sich selbst und dem Theater zu viel Bedeutung beimisst. Wenn man allerdings einfach nur hinter dem steht, was man tut, dann wird selbst Nicht-Akzeptanz ertragbar.
Ihr Wunsch an die Kammerspiele zum 100. Geburtstag?
Ich wünsche den Kammerspielen, dass sie ein Sehnsuchtsort bleiben – für die Schauspieler.