1968 / 2008

Kafka konkret –
„Der Prozess“ 1968 und 2008

Erscheinung

Münchner Kammerspiele: Franz Kafka – Der Prozess,
Regie: Andreas Kriegenburg

Rauschenden Beifall und unzählige positive Kritiken erntete Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Franz Kafkas Der Prozess, als das Stück am 25. September 2008 Premiere feierte. Zahlreiche ausverkaufte Vorstellungen und Einladungen zu Festivals und Gastspielen folgten, bis heute ist Der Prozess im Repertoire der Kammerspiele. Doch war dies nicht das erste Mal, dass Kafkas Roman für die Bühne adaptiert und in den Münchner Kammerspielen aufgeführt wurde.

Theater am Geländer, Prag:
Franz Kafka – Der Prozeß,
Regie: Jan Grossman.
Gastspiel vom 26. bis 29. Januar 1968

40 Jahre zuvor, im Januar 1968, gastierte eine tschechische Tourneeproduktion des Theaters am Geländer aus Prag unter der Regie von Jan Grossman in München. Grossman war zu dieser Zeit einer der berühmtesten tschechischen Theaterregisseure. Zeitgleich brachte das Deutsche Schauspielhaus Hamburg eine Adaption des Romans zur Aufführung in der Regie von Oscar Fritz Schuh – dazu das Fazit des Kritikers Karl Günter Simon: „Drei Stunden lang habe ich mich, mehr oder weniger müde, gefragt: Warum muß man Kafka dramatisieren?“


Nachdem Simon jedoch das Gastspiel unter Grossmans Regie an den Münchner Kammerspielen verfolgt hatte, revidierte er seine Ansicht: „Ich habe Grossmans Inszenierung (am Ende seiner Tournee, in München) gesehen. Grossman erreicht, was Schuh erreichen will: Die Darstellung einer Traumwelt von fließenden Bildern. [...] In einem mit Barockfratzen bemalten Rundhorizont steht ein schlichtes Stahlrohrgerüst, das sich auf einer kleinen Scheibe drehen läßt – sich verändernd, eingehängte Stücke (Bett, Tisch, usw.) nach vorne schiebend und doch immer dasselbe bleibend – ein Käfig ohne Ausweg, ein transparentes Labyrinth. Die Transparenz ist fugenlos zugleich: Grossman löst nicht in Einzelbilder auf, ein Bild gleitet ins andere (Wie epische Bilder gleiten).“

Auch Siegfried Melchinger zeigte sich von der Inszenierung Grossmans beeindruckt: „Die Bannkraft, die ich noch immer verspüre, obwohl sie inzwischen die Instanzen gründlicher Kontrolle passiert hat, scheint mir nun aber den Beweis dafür zu liefern, daß ich einen ungewöhnlichen, ja einen großen Theaterabend erlebt hatte.“ Obwohl beide die Aufführung in tschechischer Sprache verfolgten, lobten sie das Konzept. Ein Vergleich mit dem ebenfalls auf Deutsch vorliegenden Manuskript zeigte, dass Grossman zwar Umstellungen vorgenommen und epische Passagen gestrichen, die Dialoge jedoch weitgehend aus dem Deutschen übersetzt hatte.

Da von Franz Kafka selbst keine endgültig autorisierte Fassung des Werkes vorliegt und auch Herausgeber Max Brod die Reihenfolge der Sequenzen frei zusammengefügt hatte, bewertet Siegfried Melchinger Grossmans Eingriffe als unproblematisch und nicht verfremdend: „Die Dialoge sind von Kafka, die Veränderungen minimal.“ Wenngleich er Kafkas/Grossmans Prozess ursprünglich nicht angesehen hatte, um darüber zu schreiben, war der Eindruck, den die Aufführung hinterließ, so stark, dass er sie doch in Worte fassen wollte:

Münchner Kammerspiele: Franz Kafka – Der Prozess, Premiere am 25. September 2008

„Ich werde diesen Josef K. [...] noch lange durch das Gestänge klettern sehen, gehetzt und sich windend, von der Automatik aufgezogen und von der Selbstbeschuldigung gehetzt, in kreisenden und steigenden und fallenden Figuren, umstellt von denen, auf die er hofft und die er fürchtet, ein Opfer schließlich, das in der ungeheuerlich inszenierten Schlußszene dem Ende preisgegeben wird, das er sich selbst gesetzt hat.“ In den Tiefen der Plakatsammlung des Stadtarchivs München fand sich das Plakat, das das Gastspiel an den Kammerspielen bewarb. Die schwarz-weißen Gesichter, die Vervielfachung des Josef K. – sind die Ähnlichkeiten zum Plakat von 2008 nicht verblüffend?