1924 / 1954 – 1955

Caspar Neher – Im Zeichen
des handelnden Menschen

Bühnenbild

  • Nehers Entwürfe zu Trommeln in der Nacht lehnten die Kammerspiele 1922 ab.

  • Im Dickicht der Städte (1923) am Residenztheater stellte Nehers erste Arbeit in München dar.

  • Das Bühnenbild für die Uraufführung von Ein Engel kommt nach Babylon (1953) markiert eine typische Neher-Bühne. Die angedeuteten Räume setzen ihren Fokus ganz auf die Darsteller, welche den Ort bestimmen.

  • Auch das Bettlermilieu unter der Brücke wurde nicht naturalistisch nachgebildet, sondern vielmehr durch seine abstrakte Beschaffenheit erweitert.

Wenn man über Caspar Neher spricht, drängt sich der Name Bertolt Brecht praktisch auf. Und so waren es auch die beiden ehemaligen Augsburger Klassenkameraden und engen Freunde, die im München der 20er Jahre gemeinsam versuchten, künstlerisch Fuß zu fassen. Während der eine sich dem Bereich der Literatur zuwandte, spezialisierte sich Neher auf die Bühnenmalerei und studierte an der Münchner Akademie der Bildenden Künste. So erschien auch Brechts viel gelobter Baal mit Illustrationen Nehers zur Bühnengestaltung.

Mit den Münchner Kammerspielen trat Neher erstmals 1922 in Kontakt. Doch auch wenn er ausgewiesener Fan des Hauses war, endete diese Begegnung nicht ganz so erfreulich wie erhofft, da seine Entwürfe der Bühnengestaltung zu Brechts erster Kammerspielinszenierung, der Uraufführung von Trommeln in der Nacht, leider zurückgewiesen wurden. Darauf debütierte er ein Jahr später als Bühnenbilder am Staatlichen Schauspielhaus Berlin, pendelte jedoch fortan zwischen den beiden Theatermetropolen.

In München gestaltete Neher beispielsweise das Bühnenbild für Brechts Im Dickicht der Städte am Residenztheater, bevor ihm 1924 nun doch der Schritt in die Kammerspiele gelang, für die er das Bühnenbild zur nächsten Uraufführung Brechts von Das Leben Eduards II. kreierte, welches ihm zu hohem künstlerischen Ansehen verhalf und somit einen entscheidenden Meilenstein in seiner Karriere markiert. Anschließend folgten viele Jahre erfolgreichen Arbeitens in Berlin, Hamburg, London, Paris und New York und besonders intensiv in Wien. Neher entwarf Bühnenbilder und Kostüme für Schauspiel und Oper, schrieb Libretti für diverse Opern. 1947 arbeitete er für die Salzburger Festspiele.

Erst 1953, fast dreißig Jahre nach seinem letzten Besuch und mittlerweile international anerkannt, kehrte er an die Kammerspiele zurück. Hier baute er die Bühnenbilder für Ein Engel kommt nach Babylon und Die Eröffnung des indischen Zeitalters. In der Spielzeit 1954/55 übernahm er sogar die Ausstattungsleitung der Kammerspiele. Neher gilt nicht umsonst als einer der bedeutendsten Bühnenbildner des 20. Jahrhunderts. Er arbeitete mit unerschöpflicher Phantasie und immenser Produktivität, definierte den Bereich des Bühnenbildes völlig neu und prägte nachhaltig alle folgenden Generationen. Brecht nannte ihn einmal den „größten Bühnenbauer unserer Zeit“, wobei vor allem die Bezeichnung des Bühnenbauers treffend gewählt war.

Neher schuf keine Bühnenbilder im eigentlichen Sinne, keine Illusionsräume. Er baute Bühnenwelten, welche sich dem Werk anpassten, experimentierte mit großen Prospekten, gliederte die Räume neu und erschuf somit eine optimale Bühne für das Epische Theater eines Bertolt Brecht. Die Räume stellten keine fiktiven „Welten“ dar, sondern vielmehr Spielräume, die durch ihre Formsprache den Zuschauer aufforderten, mental aktiv am Stück teilzunehmen. Viele Räume wurden nur angedeutet oder verwiesen durch ihre Abstraktheit auf ihre explizite Künstlichkeit. Seine Bühnenbilder setzten den Schauspieler in den Fokus des Betrachters, entfremdeten seine Umgebung, gleich seines Spiels.

Der handelnde Mensch stand im Zentrum seiner Bühnenbilder, wurde durch diese nicht eingeschränkt, sondern eher unterstützt. Dadurch konnte das menschliche Wesen in all seiner Fehlbarkeit herausgestellt werden. Und auch die Illusion des Schauspiels wurde durch Nehers Bühne kenntlich gemacht. So erfand er zum Beispiel die Brecht-Gardine, einen Vorhang, der einen Meter über dem Boden endet, so dass Abgänge oder Umzüge noch halb in der Szenerie beobachtet werden können. Zudem dachten seine Bühnenbilder das Stück weiter und ergänzten durch die großen Prospektwände, die nicht selten mit Schriftzügen beschrieben waren, den Theatertext. Auch an der Entwicklung der Projektionsflächen, die vor allem Erwin Piscator nutzte, war Neher maßgeblich beteiligt.

Man kann mit Recht behaupten, dass Caspar Neher Grundsteine für das moderne Bühnenbild gelegt hat. Die gerade heute vielfach verwendete abstrakte Bühne, welche die Räume nicht nachstellt, sondern vielmehr erzählt, sie selbst erzählen lässt und das Gesamtwerk erweitert, wäre ohne Neher nicht denkbar. Und auch in diversen aktuellen Inszenierungen der Münchner Kammerspiele, die der Gattung des Neuen Erzähltheaters zugeordnet werden dürfen, steckt noch eine gute Portion Neher.