1911 – 2011

Butter und Billet –
Kartenpreise in 100 Jahren

Zahlen

  • Programmzettel mit Platzpreisen aus dem Jahr 1912

  • Platzkarte für die Vorstellung Mieze und Maria vom 31.03.1923

  • Theaterzettel zu Mieze und Maria mit handschriftlichen Notizen u. a. zum gezahlten Kartenpreis

  • Aufstellung von Abonnements- und Normalpreisen aus einem Programmheft der Münchner Kammerspiele in der Spielzeit 1933/34

  • Vergleich von Karten- und Viktualienmarktspreisen 1902 und 1952

  • Tageskassen- und Abonnementpreise für das Schauspielhaus in der Spielzeit 1965/66...

  • ... und 1976/77

Was ist ein Theaterbesuch wert? Mit was lässt sich der Preis einer Eintrittskarte in einer angemessenen Platzkategorie gleichsetzen? Auf was ließe sich im Tausch für einen Abend in den Kammerspielen verzichten? Lange Zeit lautete die Antwort: „ein Pfund Butter“.

Diese etwas waghalsige Analogie wird nicht aufdecken, dass es zwischen den Intendanten der Kammerspiele und den Meiereien des Viktualiensmarkts über Jahrzehnte hinweg geheime Preisabsprachen gab, aber als Relationsgröße veranschaulicht die Butter, was es bedeutet hat, wenn man sich 1911 oder 1961 eine Theaterkarte der besseren Kategorie leistete – dass dabei die Zahlen fünfzig Jahre lang fast identisch nebeneinander herlaufen, ist erstaunlich genug. Das Pfund kostet um 1911 in München etwas über eine Mark, wofür man im Schauspielhaus in der Augustenstraße, welches gerade von den Kammerspielen unter Erich Ziegel als Spielstätte bezogen wurde, immerhin einen Tischplatz in der vorderen Mitte bekommt und sogar noch ein paar Pfennige übrig hat, um sich am Buffet im Foyer eine Erfrischung zu gönnen.

Facharbeiter und Angestellte verdienen in diesem Jahr um die vier Mark am Tag, über die Hälfte davon muss allein für Lebensmittel ausgegeben werden. In den frühen Zwanzigern sind Theater wie Butter Luxusgüter im Margarine- und Kinozeitalter. Butter oder Billet also – existenziell wird diese Frage während der Weltwirtschaftskrise. Ein Besucher, offenbar großer Fan der Schauspielerin Blandine Ebinger, notiert für den 31. März 1923 kurz vor dem Höhepunkt der Hyperinflation, in der vierten Reihe für die Vorstellung Mieze und Maria nur 1500 statt 8000 Mark bezahlt zu haben – die Butter kostet kurze Zeit später schon 10.000 Mark. Ob es wohl möglich war, direkt mit Butter eine Eintrittskarte zu erstehen, ist nicht überliefert, dass man in Bayern in dieser Zeit beispielsweise seinen Arzt damit bezahlen konnte, allerdings schon.

Erst die Einführung der Reichsmark 1924 und die spätere Wirtschaftsregulierungen der NS-Zeit (die Devise lautet „Butter und Kanonen!“) fixieren die Preise wieder. 1934, zehn Jahre nach Mieze und Maria, bekommt man den gleichen Platz, 4. Reihe, im Schauspielhaus sowie das preisregulierte Pfund Münchner Butter für etwas über fünf Reichsmark. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg driften die Preise kontinuierlich auseinander. Für den Sitz in der vierten Reihe – er kostet jetzt fünf Mark und 50 Pfennig – gab es 1951 auf dem Viktualienmarkt schon ein Kilo Landbutter, zwanzig Jahre später – die Herstellung von Butter hat sich mittlerweile deutlicht vereinfacht, die anspruchsvollen Theaters verkompliziert –, hat sich der Preis für den Platz im vorderen Parkett fast vervierfacht.

Wer heute an Preisklasse-N-Abenden in der vierten Reihe des Schauspielhauses Platz nimmt und sich bei den Wörtern ,Theater‘ und ,Butter‘ in einem Satz allenfalls entfernt an Joseph Beuys erinnert fühlt – gut so. Immerhin fünfzig Jahre lang hatte das Platznehmen auf dem Filz der Kammerspiele den Gegenwert eines Klumpen Fetts. Ehrlich, gutes Theater hat deutlich mehr Wertschätzung verdient.