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Die Schauspieler Walter Hess, Paul Herwig und Anette Paulmann über ihr langjähriges Engagement im Ensemble der Münchner Kammerspiele. Eine Interview-Reihe von Sarah Clemens.

Annette Paulmanns stolze Labrador-Hündin
Annette Paulmann ist seit 2002 an den Münchner Kammerspielen. Sie feierte 2009 gemeinsam mit Paul Herwig einen riesigen Erfolg als 'Lämmchen' in der Luk Perceval Inszenierung Kleiner Mann, was nun? - dafür erhielten Paulmann und Herwig den „3-Sat-Preis“. Etwas vor Ehrfurcht erschrocken lese ich, dass sie 1988 – gleich nach ihrer Schauspielausbildung in Hamburg – mit Robert Wilson gearbeitet hat. Ich treffe Anette Paulmann im Hinterhof der Kammerspiele, sie hat ihre wahnsinnig verspielte Labrador-Hündin Leni, oder auch: Frau Leninger dabei und besteht bei der Frage nach einem Foto für die MK100-Website darauf, anstelle eines Portraits ihrer selbst, ein Hundeportrait zu veröffentlichen. Wir setzen uns auf eine der grünen Bänke...
Du bist seit 10 Jahren an den Kammerspielen, kann man da von einem „zweiten Zuhause“ reden?
Ja.
Kannst Du Dich an die erste Zeit an den Kammerspielen erinnern? Als alles noch neu war?
Es gab ein Treffen bei Frank Baumbauer zu Hause, zu dem alle Schauspieler eingeladen waren. Daran erinnere ich mich sehr gerne, denn das war meiner Ansicht nach auch eine ganz tolle, bezaubernde Idee, zu sagen: Wir machen das mal in einem privaten Rahmen – zumal damals auch noch die Situation war, dass es hier keine Probebühnen gab, die Kammerspiele befanden sich im Umbau und wir waren draußen in der Jutierhalle. Meine ersten Proben waren, wenn ich mich richtig erinnere, mit Peter Kastenmüller, zur Marquis von Keith.
Gab es dann irgendwann in den zehn Jahren so eine Art Höhepunkt? Das kann eine Begegnung sein, eine Rolle...?
Natürlich gab es ganz tolle Begegnungen. Mit Kollegen, die ich sehr vermisse: Katharina Schubert und Bernd Moss! Dann mit Andreas Kriegenburg und Luk Perceval, auch mit Christiane Pohle... Aber ich bin halt auch schon etwas länger dabei und habe gelernt, nicht zu traurig zu sein und mich nicht zu sehr zu freuen, weil das ganze Theatergeschäft ein Geschäft des Kennenlernens und des Abschiednehmens ist.
Ein Höhepunkt war ganz sicher der 60. Geburtstag von Frank Baumbauer, den wir an ihm vorbei organisiert haben, was ein Ding der Unmöglichkeit ist! (lacht)
Es hat uns großen Spaß gemacht zu erleben, wie ihn das aus der Bahn geworfen hat, als alle auf der Bühne standen mit einem kompletten Buffet und er wusste von nichts! Da hat übrigens Luk Perceval auch eine sehr schöne Rolle gespielt: Er hat ihn nämlich Sonntags ins Theater gelockt, unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand. Das war bestimmt einer der Höhepunkte. Ansonsten hatten wir wirklich schöne Feste hier. Tolle Aufführungen. Aber es ist wahnsinnig schwierig, das auf eine zentrale Sache zu begrenzen.
Natürlich habe ich so etwas wie Kleiner Mann, was nun? wahnsinnig gerne gespielt, auch und vor allen Dingen wegen Paul und Luk und weil das eine Rolle war, die es so in der Form gar kein zweites Mal gibt... Ich finde, dass man so lange an einem Theater ist, das spricht für sich. Und das würde ich abschließend als „Gesamt-Höhepunkt“ bezeichnen.
Es gibt auch viele Schauspieler, die nach einem Jahresvertrag wieder auf der Straße sitzen... Du behauptest, dass der Aufwand des „Neuen“ sehr anstrengend ist für dich – das ist ja auch gewissermaßen ein kleiner Widerspruch, weil der Beruf des Schauspielers diese Unsicherheiten und Instabilitäten ja quasi per definitionem impliziert...
Ja, ich glaube aber auch, dass es das in jedem Beruf gibt. Es gibt viele Bäcker mit Mehlallergie zum Beispiel.
Ich bin grundsätzlich ohnehin jemand, der sagt: Schauspielerei ist jetzt nichts Besonderes; ist auch ein Handwerk wie jedes andere. Die große Unsicherheit in diesem Beruf, die gehört dazu. Mittlerweile gibt es so viele Berufe, die diese Unsicherheit haben – und da muss man auch mal drüber nachdenken, wie das kommt, dass nur noch so wenig Menschen überhaupt eine Art 'Lebensplan' machen können, weil sie sich in gesicherten Verhältnissen wiederfinden.
Ich habe diesen Beruf nicht ergriffen, weil ich ihn immer machen wollte. Das war eigentlich eher eine sehr große Überraschung, dass ich plötzlich Schauspielerin geworden bin. Und wenn ich jetzt zurückdenke, dann denke ich einer der ganz großen Vorzüge dieses Berufes ist es, keinen geregelten Arbeitsalltag zu haben und immer in neue Zusammenhänge zu geraten. Das kommt mir sehr entgegen. Nichtsdestotrotz habe ich zwischendurch eine große Sehnsucht danach,... (überlegt.) Tierärztin, Gärtnerin oder Köchin... oder irgendwas anderes zu sein. Es gibt wechselnde Phasen. (Im Hintergrund fleht Leni um Aufmerksamkeit und möchte spielen.)
Ich finde, das ist aber auch nichts Schauspieler-immanentes, sondern das hat jeder, der seinen Beruf nicht nur des Geldes wegen gewählt hat, sondern auch davon überzeugt ist, dass es etwas ist, was man gerne macht. Und plötzlich macht man es dann auch mal nicht gerne. Das gehört dazu. Eine ganz normale Kurve. Und das ist dann glaub ich auch der Vorteil eines Ensembles, das einen in diesen ganz verschiedenen Phasen über eine längere Zeit lang begleitet: Man wird aufgefangen.
Dein Lieblingsplatz an den Kammerspielen?
Das ist hier, dieser Hof [vor der Requisite]. Hier sitze ich total gerne und vertrödele die Wartezeit.
Wie nimmst Du das Münchner Publikum in so einer langen Zeit wahr? Hat man da einen Umschwung gemerkt, den von Dieter Dorn zu Baumbauer zum Beispiel - das hast du ja im Prinzip...
...live mit ausbaden müssen! Richtig! (lacht.) Am Anfang haben wir echt gedacht, wir müssen unsere Koffer packen. Aber: in mir schlummert der Abonnent! Nein... Ich kann nichts schlechtes über das Münchner Publikum sagen:
Ich finde, einer der großen Vorzüge des Münchner Publikums ist – und ich erlaube mir das zu sagen, weil ich ein bisschen herumreise, ich bin seit Jahren in der Jury von Radikal Jung – dass hier Leute mit Bildung ins Theater kommen;
hier gehen auch Leute ins Theater, die sich nicht per se für Theater interessieren, die aber sagen, „Das gehört zum Kanon dazu, also mache ich auch das“, sprich: wir haben diese unglaublich luxuriöse Situation, dass die Leute ins Theater gehen.
Ich habe im letzten Sommer in Berlin gespielt – dort müssen die Leute so um die Zuschauer kämpfen. Die haben kein so gut funktionierendes Abonnement-System: Es gibt kaum Leute, die sagen: „Wir geben Euch einen Kredit, ein Abonnement, d.h. wir gehen auf jeden Fall in bis zu 8 Abende und dafür bezahlen wir mal eben im Voraus!“ - Vielleicht kündigen sie das Abonnement dann ja. Aber es ist erst mal ein Vertrauen, was einem entgegengebracht wird. Das ist toll! Das ist großartig. Man kann sich so schnell darüber lustig machen – ich würde das mal nicht tun wollen.
Sondern ich weiß, dass ich da Leuten das Geld aus der Tasche ziehe, die auch manchmal enttäuscht oder erzürnt aus einer Vorstellung nach Hause gehen, das haben wir hier auch erlebt, wo man richtig merkt: „Die sind aber sauer auf uns!“ Und kommen dann aber trotzdem wieder - das finde ich toll. (Leni bellt um Aufmerksamkeit zu erregen und möchte unbedingt weiterspielen. Paulmann ruft ihr scherzhaft zu: „Terrorist!“)
Dein Wunsch an die Kammerspiele zum 100. Geburtstag?
(fragt mich was ihr Kollege, Paul Herwig, den Kammerspielen denn gewünscht habe)...Jetzt hat Paul wieder etwas Schönes geschrieben und mir fällt nichts ein... Ich bin für den Querverweis! Ich schließe mich den Grüßen von Paul an, “... Deine Annette“ (Siehe: Interview mit Paul Herwig)