Das Theater Andreas Kriegenburgs lässt sich nicht unter wenigen einfachen Grundeigenschafen subsumieren. Es ist immer unterschiedlich, immer etwas Neues, nie kann man wissen, was einen erwartet. Und doch findet sich hier gleich der erste Anhaltspunkt über den Charakter seiner Inszenierungen. Kriegenburg versucht nie, dem Stück etwas aufzuzwingen, sondern die Inszenierung aus dem Werk heraus zu entwickeln, seine Atmosphäre aufzufangen, sie zu verinnerlichen und präzise auf die Bühne zu stellen. So unterschiedlich die Stücke, so verschieden sind da auch ihre Umsetzungen.
Was bei diesen Inszenierungen immer wieder auffällt, ist die Fokussierung auf das Wesen des Menschen. Mit scharfem Blick beobachtet Kriegenburg die psychologische Beschaffenheit seiner Charaktere, ihre Sehnsüchte, ihre Ängste und Neurosen und stellt diese fast schon parodistisch heraus. Die Fehler und Laster werden da in all ihrer eigentlichen Lächerlichkeit bewusst. Das Scheitern des Einzelnen wird als unweigerliche Konsequenz seines ganzen Selbst herausgestellt.
Wie traurige Clowns wirken die Figuren da manchmal. Und es ist gerade dieses Clowneske, was einen weiteren Aspekt des Kriegenburgschen Theaters ausmacht. Denn wie schon Buster Keaton, bedient er sich des Slapsticks, um die Verlorenheit seiner Figuren darzustellen. Eine körperliche Poetik, die geprägt ist vom Ausrutschen, sich-Festklammern, Wiederaufrappeln. Das Innere einer Figur wird nach außen gekehrt, wodurch die psychische Verfassung explizit sichtbar wird. Dabei ist die Körpersprache präzise ausformuliert, die Bewegungen choreografiert und stark durch Akrobatik gekennzeichnet. Nicht selten gehören auch Tanzeinlagen und artistische Kunststückchen zu den prägenden Stilmitteln.
Der Grad zwischen körpersprachlicher Präzision und übertriebener Künstlichkeit ist schmal, und nicht immer gelingt es Kriegenburg, diesen einzuhalten. So kann es passieren, dass die Ästhetik zu konstruiert, zu künstlich wirkt und die Körperlichkeit der Darsteller das eigentliche Drama, welches sie vermitteln soll, in den Schatten drängt. Wer zum Beispiel hätte nicht immer wieder über die körperliche Extremleistung der Darsteller in der Inszenierung des Prozess an den Münchner Kammerspielen staunen müssen? Doch auch wenn der Slapstick manchmal überhandnimmt, sind die Figuren immer von tiefem Gefühl gekennzeichnet, ergreifend ausformuliert und lassen gänzlich in ihre Seele blicken.
An den Kammerspielen gastierte Kriegenburg bereits fünfmal mit den Inszenierungen der Orestie (2002), der Nibelungen (2004), der Drei Schwestern (2006), des Prozess (2008) und 2010 mit Alles nur der Liebe wegen. Vier dieser Inszenierungen beeindruckten so sehr, dass sie zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden. Für den Prozess wurde er sogar zum Bühnenbildner des Jahres gekürt.
In der Gestaltung des Bühnenbildes manifestiert sich ein weiterer Aspekt des Theaters von Andreas Kriegenburg. Denn über die handwerkliche Ausbildung des Modelltischlers kam er ans Theater, fand aber schnell seinen Weg in den künstlerischen Sektor. Die bühnenbildnerische Erfahrung brachte er also schon mit, und so begann er ab 2000 seine Inszenierungen selbst auszustatten.
Eine klare Struktur lässt sich jedoch auch hier nicht festmachen, denn wie schon das Schauspiel, sind ebenso die Räume speziell auf ein Werk zugeschnitten. Dabei sind die Bühnenwelten jedoch nicht realistisch veranlagt, sondern durch hohe Künstlichkeit und Symbolismus gekennzeichnet. Sie sprechen über sich hinaus und dienen den Figuren dazu, ihre Gefühlswelten zu verdeutlichen, stellen eine stimmige Atmosphäre des gesamten Werkes her.
Dem Einfallsreichtum Kriegenburgs sind dabei scheinbar keine Grenzen gesetzt. So gab es nicht nur das große Auge, welches die kafkaeske Welt in schier unendlicher Drehbewegung aufzeigte und gleichzeitig den alles beobachtenden Fiskus repräsentierte, sondern auch mit Helium gefüllte Mülltüten, luftakrobatische Vorrichtungen oder ein sich stetig wälzendes Mühlrad, welches seine Darsteller genauso auswarf, wie es sie wieder verschluckte.
Die Bühnenwelten sind genauso innovativ, wie die Darstellung der Charaktere. Verspielt, unermüdlich kreativ und präzise auf die Essenz seiner Stücke ausformuliert. Kriegenburgs Inszenierungen stellen mit schöner Abstraktheit das Gefühl, die Innenwelt des menschlichen Wesens, dar und schaffen eine eigene artifizielle Welt, welche die Atmosphäre seiner Werke stimmig auszudrücken vermag.